Spielanalyse und Game Studies im Plenum

Was sind Game Studies?
In den Game Studies wird unter anderem untersucht welchen Einfluss Games auf Gesellschaft und Kultur haben (vgl. Thon 2015: 105). Zentrale Frage ist: Wie genau, also durch welche Prozesse, Systeme, Praktiken und Strukturen, äußert sich deren Einfluss? Darüber hinaus gehen zum Beispiel Katie Salen und Eric Zimmerman mit ihrem Ansatz „Games as Cultural Rhetoric“ davon aus, dass Games und dessen Strukturen ein Spiegel der vorherrschenden Kultur und ihr innewohnender Werte seien (vgl. Salen & Zimmerman 2004: 514-535).
Entsprechend wird ebenfalls hinterfragt aus welchen sozialen oder kulturellen Prozessen, Systemen, Praktiken und Strukturen Games entstehen – welche gesellschaftlichen Werte, Normen oder auch Habitus sie reflektieren, ohne, dass diese explizit in das Medium “einprogrammiert” (Bogost 2008: 128f, 136) wurden. Spiele oder Teilaspekte von ihnen können somit als Forschungsgegenstand auch im Hinblick auf wirtschaftliche, politische, ethische und weitere Perspektiven kritisch hinterfragt und untersucht werden.
Warum Game Studies und Spieleforschung wichtig sind
Gesellschaftliches Potential von Videospielen

Laut des Kanons der Game Studies ist “spielen” ein, dem Mensch inherentes Bedürfnis und Games geht es entsprechend darum unterschiedlichste emotionale oder auch soziale Bedürfnisse zu bedienen. Spiele werden häufig darauf verkürzt, dass sie zum Spaß, belanglosen Zeitvertreib oder zur Ablenkung (vgl. Bogost 2008: 137) gespielt werden. Zwar sind Games unterhaltender Natur, aber die Gründe warum wir spielen (“play”) und auch welche Art von Entertainment jemand sucht, zielt nicht nur auf die eine Gleiche Version von “play” oder Entertainment ab.
Die Rhetorik von Games und “play” wird stattdessen historisch und auch in seinen Zielen und Konnotationen unterschiedlich klassifiziert, wie beispielsweise in Brian-Sutton Smiths Seven Rhetorics of Play (vgl. Salen & Zimmerman 2003: 518f.). Dabei gibt es unter anderem “play as progress”, welches auf kognitive Weiterentwicklung des Verstandes zielt; “play as power”, was wir in Sport oder Wettkämpfen finden und Bezug auf gesellschaftlichen Status nimmt; oder auch “play as identity”, bei dem die Schaffung und Vermittlung von Identität in einer Gesellschaft reflektiert wird. Eine Kategorisierung für das Bedienen von Emotionen und intrinsischer Motivation von “play” ist oben nach Hunicke, LeBlanc und Zubek zu sehen (siehe Abbildung oben).
Relevanz der Einbindung von Game Studies-Inhalten im Kurs
Wie Bogost festhält: “„Video games make arguments about how social or cultural systems work in the world – or how they could work, or don’t work. […] In this way, playing video games is a kind of literacy. Not the literacy that helps us read books or write term papers, but the kind of literacy that helps us make or critique the systems we live in. By ‘systems,’ I don’t mean large-scale, impersonal things like political systems. Any social or cultural practice can be understood as a set of processes, and our understanding of each of them can be taught, supported, or challenged through video games” – Bogost 2008, S.136.
Game Studies helfen ein Potential im Entwicklen von Spielen freizusetzen, das außerhalb des Hochschulrahmens nur nischenhaft im Bewusstsein der Gesellschaft verankert ist. Wenn Studierende versuchen Teile von diesen Gedanken in ihre Designs miteinzubringen, dann legen wir Grundbausteine für eine Generation an Medienproduzierenden, die auf lange Sicht die Gesellschaft verändern könnten.
Vokabelliste für Spieleanalyse
Nach Richard Bartle gibt es eine Einordnung von Spielertypen (Bartle, "Taxonomy of Player Types, 1996), welche Spielende in vier Gruppen aufteilt. Dabei beschreiben die unterschiedlichen Typen ein Gefüge an üblichen Handlungsweisen und Präferenzen in Bezug auf Inhalte und Agency, die die Spielenden interessiert.
Im GamesLab unterscheiden wir aufgrund der spezifischen Medialität von Videospielen “Genre” in zwei unterschiedlichen Aspekten:
Thematisches Genre
Das thematische Genre bezieht sich mehr auf den inhaltlichen Kontext, in dem das Setting und die Story des Spiels angesiedelt sind. Das thematische Genre überschneidet sich mit dem üblichen Verständnis von Genre, wie auch bei Büchern oder Filmen, wie beispielsweise: Fantasy, Science Fiction oder Mittelalter und viele weitere.
Mechanisches Genre
Das mechanische Genre bezieht sich auf Spielprinzipien und -konventionen, also welche Art von Gameplay vorgezeigt wird. Es gibt beispielweise Puzzle, Roguelite/ -like, Metroidvania, Jump'n'Run, Plattformer, Serious Game und viele weitere.
"Point of View" (PoV) kommt aus dem englischen, ist aber im deutschen auch als Erzählperspektive bekannt. Anders als in literarischen Werken ist in Spielen mit PoV aber der technische Blickwinkel auf das Spielgeschehen gemeint. Von welcher Perspektive können Spielende die audiovisuellen Handlungen betrachten und wahrnehmen? Der PoV in Spielen überschneidet sich allerdings auch mit der Bedeutung der Erzählperspektive, welche bei der Gestaltung des Narrativs, also der Spielerzählung wichtig wird.
Das Narrativ ist in einem Spiel die Geschichte, die erzählt wird. Ähnlich wie in Büchern oder Filmen ist also die abgebildete Geschichte gemeint. Ein Spielnarrativ setzt sich allerdings durch seinen Modus der “Simulation” (vgl. Gonzalo Frasca, “Simulation Rules”) vom Modus der “Narration” in literarischen Sinne ab. Ein Spielnarrativ setzt sich aus weiteren Aspekten zusammen, wie interaktiven Elementen, Prozeduralität, Handlungsspielräumen (vgl. Ian Bogost) und auch den internen Spielregeln.
Vokabelliste für Game Studies
Brian-Sutton Smith beschäftigt sich allgemein mit Ludologie und hat das Konzept “Seven Rhetorics of Play” entwickelt.
Espen Aarseth ist einer der Weg ebnenden Autoren der Game Studies. Er hat in der Jahrtausendwende zur Entwicklung einer neuen und eigenständigen akademischen Disziplin für Videospiele aufgerufen (vgl. Thon 2015:107).
Ian Bogost ist Game Designer und in der Lehre tätig und fokussiert besonders auf kritische Lesung von Videospielen. Die Konzepte “persuasive games”, “procedural rhetoric” und “procedural literacy” sind Kern seiner Arbeiten.
Janet H. Murray ist Vorreiterin in Bezug auf das Thema Narration in Videospielen und mit Verantwortlich für die Ausarbeitung einer neuen Medialität für digitale Medien. Sie hat in ihrem Buch “Hamlet on the Holodeck” vier grundlegende Eigenschaften digitaler Artefakte gestgelegt: “prodedurality, participation, spaciality and encyclopedic scope” (vgl. Bogost 2008: 121).
Gonzalo Frasca ist einer der Weg ebnenden Autoren der Game Studies. Seine Arbeit um “Simulation Rules” ist maßgebend bei der Loslösung von Games aus den Literaturwissenschaften und dem linearen Modus der Narration.
Katie Salen und Eric Zimmerman beleuchten Games aus vielen Perspektiven und geben mit “Rules of Play: Game Design Fundamentals” und "The Game Design Reader": A Rules of Play Anthology" eine Umfassende Einführung in praktische und theoretische Aspekte von Spieleentwicklung und ihrem gesellschaftlichen Potential.
Videospiele sind computerbasierte Medien. Das bedeutet, dass sie inherent prozessbasiert sind. Zur besonderen Medialität von Videospielen gehören folgende Aspekte:
- Prozeduralität, Bedingungen und (Spiel-)Regeln
- Annäherungen und Berechnungen
- digitale und analoge Aspekte, körperliche Komponente (Medium und Mensch)
- Modus der Simulation, Realitäts-referenzierend und -konstruierend
Bei manchen Autoren gehen die Meinungen auseinander inwieweit Programmcode konkret oder indirekten berücksichtigt wird.
Narration
Der Begriff Narration ist in den Literaturwissenschaften gebräuchlich bezieht sich auf eine Erzählung im literarischen Sinne. Es gibt Erzählperspektive und ein Setting, in dem aufeinanderfolgende Events eine Geschichte formen (vgl. Thon 2015: 57). Der Modus der Narration ist folglich linear.
Simulation
Im Modus der Simulation wird auf Verhalten, Handlungsräume und -möglichkeiten (vgl. Bogost 2008, 120f) abgezielt. Dadurch sind Games nicht realitätsabbildend wie z.B. Fotos, sondern Realität-konstruierend. Ein Foto kann einen konkreten Moment festhalten und die Repräsentation einer Realität zeigen. Ein Game referenziert allerdings nur Annahmen, die für die Berechnungen im Hintergrund festgelegt worden sind, und zeigt nur Annäherungen an und Interpretationen von jener referenzierten, angenommenen Realität.
Prozeduralität beschreibt, wie alles was in Videospielen sichtbar und erlebbar wird, auf einer Reihe von Annahmen, Berechnungen und referenzierten Regeln sowie der Interpretation dieser Regeln aufbaut (vgl. Bogost 2007, 2008; Juul 2010; Salen & Zimmerman 2004). Es müssen erste eine Reihe an Informationen prozesshaft verarbeitet werden um dann Inhalte zu generieren, die an Spielende weitergereicht werden kann.
Agency beschreibt die Handlungsebenen und Handlungsmacht von Spielenden. Dadurch, dass sie gleichzeitig Subjekt außerhalb des Mediums sind und nicht nur kognitiv in eine Erzählung gezogen werden (vgl. Bogost 2006, 67), bieten Games immersive Interaktionsmöglichkeiten an. Dabei ist das aktive Spielen und Erforschen der Möglichkeiten zwischen ggf. festgelegten erzählerischen Stationen und freier Bewegungsmöglichkeit im Spiel ein Freiraum, der besonders für das Medium Game ist.
Literaturverzeichnis
Bogost, Ian (2007): Persuasive games: the expressive power of videogames. Cambridge, Mass. [u.a.]: MIT Press.
Bogost, Ian (2008): The Rhetoric of Video Games. In: Katie Salen Tekinbaş (Hg.): The Ecology of Games. Connecting Youth, Games, and Learning. Cambridge, Massachusetts: MIT Press (The John D. and Catherine T. Macarthur Foundation Series on Digital Media and Learning), 10.1162/dmal.9780262693646.117, S.117–140.
Frasca, Gonzalo (2003): Simulation versus Narrative. Introduction to Ludology. In: Mark J.P. Wolf, Bernard Perron (Hrsg.): The Video Game Theory Reader. New York. S.221-235.
Hunicke, LeBlanc und Zubek In Egenfeldt-Nielsen, Simon; Smith, Jonas Heide; Tosca, Susana Pajares. (2020): Understanding Video Games. The Essential Introduction. Fourth edition. New York, London: Routledge Taylor & Francis Group.
Juul, Jesper (2010): The Game, the Player, the World: Looking for a Heart of Gameness. Plurais Revista Multidisciplinar 2010: 248-270. https://doi.org/10.29378/plurais.2447-937.
Salen, Katie & Zimmerman, Eric (2003): Rules of Play. Game Design Fundamentals. Cambridge, Massachusetts, London: The MIT Press.
Salen, Katie & Zimmerman, Eric (2004): Games as Cultural Rhetoric. In: Rules of Play. Game Design Fundamentals, S.514-535. Cambridge, Massachusetts, London: The MIT Press.
Thon, Jan-Noel (2015): Games Studies und Narratologie. In: Klaus Sachs-Hombach, Jan-Noël Thon (Hrsg.): Game Studies. Aktuelle Ansätze der Computerspielforschung. Köln, S.104-164.
Schnelle Navigation